sprungmarker testet

Alle HTMLer sind Lügner: Strukturelle Paradoxe

Zur Fragestellung, war HTML bereits in seinen Anfängen barrierefrei (gestellt hat die Frage AlastairC), erhielt ich von Netzarbeit den Hinweis,“dass es HTML in den Anfängen von 1989 nicht um Layout und Gestaltung, sondern um eine strukturelle Darstellung von Inhalten ging.“ (Quelle: Kommentar sprungmarker).

Ich denke, da gilt es zwei Dinge ein wenig zu differenzieren:

HTML, 1989 und Hypertext

HTML ist 1989 entwickelt worden, das Prinzip des Hypertexts reicht jedoch viel weiter zurück und macht die Intention von HTML rückwirkend klarer: es ging um Vernetzung, sicherlich auch um (inhaltliche) Strukturen, aber das nur zweitrangig. Man könnte sagen, die einfachen Strukturen ergaben sich quasi aus dem technischen Minimalismus, auch wenn dieser Minimalismus damals revolutionär war.

Vannevar Bushs hypertextuelles System MEMEX etwa aus dem Jahre 1945 hatte den Wunsch einer universellen Vernetzung des gesamten Menschheitswissen, so sind sie eben die Visionäre – aber: diese Ideen prägen noch heute Web 2.0.. 🙂 In Memex forderte Bush – gänzlich aktuell -, dass alle Dokumente nicht nur allen zugänglich sein sollten, sondern auch von allen in Echtzeit kommentiert werden könnten (Quelle: Bush, Vannevar: As We May Think. The Athlantic Monthly 1945 – sollte heute wiedergelesen werden. :-))

Daher waren die Kernfragen der Anfangszeit von Hypertext (HTML ist ja nur eine sehr populär gewordene Form von Hypertext, wie auch seinerzeit Hypercard für Mac es war; ich habe noch damit gearbeitet ;-)) nicht, ob alles schön inhaltlich strukturiert ist (die ersten HTML Elemente waren komplett spartanisch – Hs, P-Element, Link-Element – vgl. HTML Elemente aus dem Jahre 1992), sondern, ob man die Dokumente untereinander und überall für jeden online (vernetzt) verfügbar machen kann. Historisch gesehen sind diese Konzepte daher durch eine starke Linkfixiertheit gekennzeichnet.

Insofern war die Zugänglichkeit (was ja auch immer noch etwas anderes ist als Barrierefreiheit) damals auch ein Thema, aber eben mehr ein universelles Thema – verlinkt == zugänglich für alle. Diese Linkzugänglichkeit ist aber doch etwas gänzlich anderes als die Themen und Problemstellungen, die Barrierefreiheit kennzeichnen. In der Barrierefreiheit geht es um ganz andere Barrieren wie nur eine fehlende Verlinkung von Inhalten.

HTML, Inhalte und Struktur

Ohne jetzt wieder auf die Frage zurückzukommen, wenn das HTML-Dokument hinreichend gut strukturiert ist mit Hilfe der zur Verfügung stehenden HTML-Elemente, dann ist es bereits per se barrierefrei, muss doch noch eine weitere definitorische Eingrenzung vorgenommen werden.

HTML ist ja eine Auszeichnungssprache, die Inhalte beschreibt und markiert, gut man könnte allgemeiner sagen, die Inhalte werden durch HTML strukturiert. Da beginnt dann jedoch wieder das Problem von Vereinfachungen, strukturiert ist manches, aber ist diese Beschreibung, Markierung und Strukturierung schon barrierefrei, nur weil sie möglichst klar, allgemein portierbar und verständlich zu halten ist?

Dann wären etwa, um ein Extrembeispiel zu nennen, philosophische Logikssysteme wie Aussagenlogik oder Programmiersprachen, die ja besonders auf eine allgemeine Portierbarkeit und Anwendbarkeit Wert legen, auch barrierefrei, weil eine feste Nomenklatur notwendig ist, um Wahrheitsgehalt und Ausführbarkeit herzustellen?

Ich denke, der Punkt ist doch, dass HTML gut strukturiert sein kann, aber noch mehr technisches Know-how und vor allem Bündelung und Kombination mit anderen Techniken und Erfahrungen notwendig ist, um es barrierefrei zu machen.

Ein semantisch hinreichend strukturierter Text kann auch ein Word-Dokument sein, aber nicht jeder kann ein Word-Dokument lesen. 😉

4 Antworten auf “Alle HTMLer sind Lügner: Strukturelle Paradoxe”

  1. Da hab ich ja schon das Gefühl den Kopf gewaschen zu bekommen. Interessant ist es auf jeden Fall und bevor ich mit Halbwissen klugscheißer sollte ich mich wohl vorher erkundigen. Dennoch glaube ich verstanden zu haben, dass du dem, was ich sagte (auch wenn es historisch vollkommen falsch war) teilweise zustimmst. Es ging bei HTML nicht um die Anforderungen, um die es heute geht. Aber es gab Ansprüche, die damals vielleicht als „barrierefrei“ gegolten haben könnten. nun denn, bevor ich mich verzettele, hör ich lieber auf

  2. @sophie: Es geht nicht um Kopfwäsche, sondern um Präzisierungen. Das Problem ist tatsächlich eine Form der „Halbwissen-Debatte“. 😉 Ich weiss bis dato nicht, was AlastairC mit diesen Argumenten genau gemeint hat, aber es könnte sein, dass das an derzeitige andere aktuelle Debatten (Semantisch korrektes HTML == barrierefrei) anschliesst. Aber ich sage, könnte. Das „Halbwissen“ ist auch auf der Seite der Standardisierer, die sich aus dem Thema „Barrierefreiheit“ mit oben genannten Argumenten so gerne fein raus argumentieren.

    Freilich ganz „falsch“ war Dein Einwand nicht, problematisch war nur der Blickwinkel. Man müßte erst recherchieren, ob es damals überhaupt einen Ansatz der Barrierefreiheit gab und ob der in Verbindung mit der Entwicklung von HTML zu setzen war. Wahrscheinlich eher nicht, aber da muss ich nun auch passen.

    Aber ein interessantes historisches Thema immerhin. 🙂

  3. Sehr schöner Beitrag (auch der vorhergehende), danke, auch wenn ich die Betrachtung an sich als etwas zu philosophisch empfinde.
    Man könnte noch ins Tausendstel gehen und fragen, ob bspw. ein korrekt als xhtml+xml ausgeliefertes Dokument (das wäre wohl etwa das HTML-Äquivalent zum Word-beispiel) barrierefrei ist, obwohl es im IE und diversen alten Browsern nicht dargestellt wird.
    Das ist die Huhn-Ei-Geschichte, sehr interessant, aber führt eigentlich nicht weiter.

  4. Danke. Ich würde es vielleicht nicht philosophisch nennen, eher metatechnisch. 🙂
    Nun, es führt nur insofern ein wenig weiter, als man allein mit einer validen semantischen Strukturierung noch keine hinreichende Optimierung für eine barriefreie Arbeitsweise mit dem Dokument (welches auch immer) erzeugt. Im Fall eines HTML-Dokument gehört dazu u.a. das Testen, das Anwenden, das Nachlesen, das Problem- und Hürdenfinden. Wenn man mit einem Screenreader so manches valides Dokument durchgeht, schliesst das nicht aus, dass man hängenbleibt, verloren geht oder schlicht die semantische Struktur einer Seite trotzdem nur unzureichend versteht.

    Zur Barrierefreiheit gehören für mich neben validen, semantisch klug strukturierten Seiten auch Usabilitiy und viel Metaarbeit. 🙂

    Ich wollte eigentlich nur dazwischen rufen, Validität und Semantik reichen eben nicht auf für Barrierefreiheit. Nicht mehr und nicht weniger.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert